Posted on: 02. Oktober 2013
#Video-Feedback #Autopoietische Systeme #Iterationen #Rückkopplungen #Selbstorganisationen #Strukturbildungsprozesse #Ich


Die Rückkopplung (Feedback)


Ein Video-Feedback ist die Beobachtung der Beobachtung der Beobachtung.
Wenn bei einer elektronischen Schaltung, einem physikalischen System oder auch einer biologischen Lebensgemeinschaft das Ausgangssignal auf den Eingang geschaltet wird, führt dies zu einer Rückkopplung.
Eine Video-Rückkopplung erreicht man, indem man eine Kamera auf ein Wiedergabegerät richtet, welches das gerade aufgenommene Bild zeigt. Dabei kommt es zu dynamischen, selbstorganisierten Strukturbildungsprozessen.

Bekannter als die optische Rückkopplungen ist das schrille Pfeifen einer akustischen Rückkopplung. Diese ensteht wenn ein Mikrofon zu nahe bei einer Audiobox steht. Das Signal vom Lautsprecher wird zum Eingangssignal am Mikrofon und somit wieder und wieder verstärkt.
Johnny Watsons Space Guitar wurde am 1. Februar 1954 mit Hall- und Feedback-Effekten von der Gitarre aufgenommen und gilt damit als erste auf Schallplatte gepresste Rückkopplung.


Die Iteration


«Von at. «iterare» = gebrochen. Rückkoppelung durch Wiederaufnahme und Wiedereinbeziehung von allem, was vorher war (Bsp.: Erneuerung aller Körperzellen in etwa 7 Jahren, künstliche Intelligenz, Wettersysteme). Wiederholte Anwendung einer Rechenvorschrift, wobei jedes Ergebnis als Ausgangspunkt für den nächsten Schritt dient. Negative (hemmende) und positive (verstärkende) Rückkoppelungen entdeckte man bei Mikrophonen, die zu nahe am Lautsprecher sind und durch das Rückschicken des aufgefangenen Tones auf den Verstärker ein chaotische Geräusch produziert. Rückkoppelung ist Spannung zwischen Ordnung und Chaos. Rückkoppelungen kommen überall auf vor: Auf allen Ebenen des Lebendigen, in psychologischen Abläufen, in der Evolution des ökologische Gesamtsystemes und in mathematischen, nichtlinearen Gleichungen.»

– Fachverbandes Didaktik der Physik in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Berlin: Lehmann 2000 - 2001, fachportal-paedagogik.de

Das autopoietische System


Autopoiese, autopoietisch [KOG], aus der Soziologie (Maturana, Varela 1987, Luhmann 1991) stammender Begriff, der in der Ps. die Selbsterhaltung eines psychischen Systems durch Rückbezug jeder Operation auf sich selbst (Selbstreferenz) bez. Psychische Systeme leben nach diesem Ansatz aus sich selbst heraus (s.a. Reifung), reproduzieren sich selbst und sind somit in sich geschlossen. Sie erhalten dadurch ihre Stabilität und ihre Beharrungstendenz.
Autopoietische Systeme sind nicht nur selbstorganisierende Systeme, sondern sie erschaffen sich auch selbst. Sie generieren ihre eigene Elemente, Prozesse und Strukturen. So entsteht ein operativ geschlossenes, selbstreferenzielles, selbsterzeugendes System, das sich reproduziert.

«Autopoietische Systeme können ihre Strukturen nicht als Fertigprodukte aus ihrer Umwelt beziehen. Sie müssen sie durch ihre eigenen Operationen aufbauen und das erinnern – oder vergessen.»

– Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch von Niklas Luhmann, Wiesbaden 3. A. 2008, S. 13, de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis


Die Selbstorganisation


«Die Theorie der Selbstorganisation ist eng verbunden mit dem Namen des Chemie-Nobelpreisträgers von 1977, Ilya Prigogine. Er entdeckte bei seinen Forschungen im Bereich der Nichtgleichgewichts-Thermodynamik, dass weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernte Zustände zu so genannten dissipativen Strukturen führen können. Dabei handelt es sich um offene Systeme, die in einem ständigen Materie- und Energieaustausch mit ihrer Umgebung stehen. Für solche Strukturen ist das Anwachsen von Entropie wesentlich. Es wird ständig Energie aus der Außenwelt entzogen und gleichzeitig Abfallenergie in die Umwelt dissipiert.

Die komplizierten und einander wechselseitig bedingenden Prozesse, die zu dissipativen Strukturen führen können, nennt man Selbstorganisation. Ein einfaches Beispiel für eine dissipative Struktur, eine sich in der Zeit selbstorganisierende Struktur, ist die Video-Rückkopplung: Richtet man eine Videokamera auf ihren eigenen Bildschirm, so gerät das System, wie zu erwarten ist, völlig durcheinander. Nicht immer entsteht jedoch ein Durcheinander amorpher Erscheinungen. Die Videobilder zeigen vielmehr eine überraschende Tendenz, spontan geordnete Strukturen zu entwickeln.»

philosophie-woerterbuch.de


Der Blick nach Innen


«Simply, the visual feedback loop forces one to rethink the role of the receiver and reception in the definition of a medium. Accordingly, the specific updates to media theory rely on a new definition of media to privilege the processes of decoding and reception. […]

This mode, I call, inward-looking. Inward-looking privileges what an image shows, and inherently presupposes an image has something to show. Furthermore, inward-looking presupposes that mediation is a characteristic of information and not of representation; to see something in an image is to extract suspended information from a medium. […]

Feedback can be generally defined by the circumstance where the output of a system is used (at least in part) as input for that same system. Feedback refers to output-as-input and the loop refers to the systemic closure that exists when output is used as input. In a more general sense,  the feedback loop constitutes a causal structure,  where the system functions based on previous functioning. The result is structure that is reflexive and recursive—the current state is inductively derived from lifespan of the system as well as indicates the (potential) outcome of the system. «Feedback loops [have] long been exploited to increase the stability of mechanical systems» as an inborn method of selfregulation. Since the invention of video,  feedback loops have included visual output-as- input. The visual feedback loop also allows for self-regulation, albeit a different type.»

– A treatise on the loop as a desired form: visual feedback and relational new media by Thomas James Lodato, smartech.gatech.edu


Das Ich


In the end, we are self-perceiving, self-inventing, locked-in mirages, that are little miracles of self-reference. – I Am a Strange Loop (Ich bin eine seltsame Schleife) von Douglas Hofstadter, 2008, ISBN-10:3-608-94444-3

Douglas Hofstadter sieht das Gehirn als ein hinreichend komplexes Gebilde, das einen nahezu unendlichen Symbolvorrat generieren kann, genug, damit darin eine seltsame Schleife (Loop) entstehen kann, die sich selbst wahrnimmt: ein Ich.

«Der Begriff der seltsamen Schleife taucht schon in seinem Kult gewordenen Erstlingswerk Gödel, Escher, Bach von 1979 auf. Dort hat Hofstadter seine Vorliebe für rekursive, also schleifenartige Strukturen, bereits ausgiebig offenbart: Bilder, die sich selbst zum Inhalt haben, Sätze, die über sich selber sprechen («Ich lüge.»), Spiegel, die sich gegenüber stehen, Dinge also, die immer wieder auf sich selbst zurückverweisen. Solche Schleifen nennt er seltsame Schleifen, wenn sie nicht nur sich selber wahrnehmen, sondern das Wahrgenommene auch symbolisch verarbeiten, das heißt denken können.»

– Gerrit Stratmann dradio.de


Der Loop


Loop, Interaktives online Webcam Projekt, 2013
Ausstellung auf: Collective View, On Real-Time Webcam Images
1. Oktober – 24. November 2013
täglich geöffnet, durchgehend 24 Stunden, live

«Esther Hunziker untersucht mit der Arbeit Loop die Webcam als Überwachungsmedium und Instrument von Kontrollfreaks. Sie wendet dafür eine Rückkopplungsanordnung an, in der die Webcam zum Selbstbeobachter wird. Die Webcam als Symptom für ein Überwachungsdispositiv, die chronisch darauf ausgerichtet ist ihr Blick nach aussen zu richten, wird damit ihrer vorgesehenen Funktion beraubt. Durch diese Umkehrung entstehen Einblicke in eine verborgene Welt der digitalen Echtzeit-Bilder.

Da sich die Ansichten der Webcam durch ihre Anwendung in unterschiedlichen Feldern der Gesellschaft vervielfältig haben, kann sie nicht mehr ausschliesslich im Kontext des Voyeurismus und der Überwachung gesehen werden. Der elektronische Raum des Internets, in der die Anwendung der Webcam stattfindet, kommt jedoch nicht vom Kontrolldispositiv los, da die Daten, die darin zirkulieren dennoch an Machtmechanismen angeschlossen werden können. Bei der Rückkopplungsanordnung, die Esther Hunziker einrichtet, handelt es sich um ein System, bei der die Webcam den Bildschirm, auf den sie ihr Signal abgibt, aufnimmt und rückkoppelnd wieder an den gleichen Bildschirm zurückgibt. Durch die Rückkopplungsanordnung der Arbeit Loop führt die Künstlerin Idee eines Dispositivs der Überwachung ad absurdum. Dieses Echtzeit-Bild wird in die Internetseite www.collective-view.ch eingebettet, auf das die Webuser anhand der Navigationsmöglichkeiten wieder einwirken können. Ersichtlich werden dabei selbstorganisierten Strukturbildungsprozessen.

Mit der Arbeit Loop wird die Webcam dazu gebracht sich selber zu überwachen. Damit entsteht ein unvorhergesehenes Bild, das in der technischen Übermittlung endlos zirkuliert. Über die Einbindung auf www.collective-view.ch und den damit verbundenen Interaktionsmöglichkeiten wird sie zum Instrument der Rezipienten. So verliert sie jegliche Autorität und entwickelt eine eigene Dynamik im Übermittlungsprozess, der sich stetig transformiert. Esther Hunziker fragt also nicht nach Effizienz und Möglichkeiten der technologischen Erneuerungen, sondern legt die Webcam-Technologie in Kombination mit dem Feedback offen, die in ihrer Medialität noch kaum erforscht ist. Jenseits von Darstellbarkeit lässt uns diese Arbeit die verborgenen Gänge, Netze und Kanäle der Medialität selbst entdecken.»

– Pressetext von Damian Jurt unter: collective-view.ch